Erst vor kurzem wurde mit dem Erscheinen des Buches „Die Treuhand“ von Marcus Böick 2018 eine neue öffentliche Debatte über die Abwicklung der DDR Industrien und der damit verbundenen Entwicklungen angestoßen. Auf politischer und gesellschaftlicher Ebene wurde im Jubiläumsjahr 2020 auf „30 Jahre Deutsche Einheit“ zurückgeblickt. In vielen politischen Veranstaltungen wurde der Prozess der Wiedervereinigung und deren Auswirkungen reflektiert und in Gesprächsformaten mit Bürgerinnen und Bürgern wurden die Gemeinsamkeiten und noch bestehenden Unterschiede zwischen Ost und West beleuchtet.
In Gesprächsrunden und anderen Beteiligungsformaten in Riesa wurde deutlich, dass bei vielen Menschen in der Stadt die Jahre der Wende- und Nachwendezeit heute immer noch präsent sind. Obwohl die Wiedervereinigung für viele Menschen eine positive Entwicklung bedeutete, ist vieles Negative noch nicht aufgearbeitet. Die Erfahrung, dass in den Jahren nach 1990 viele Westeliten die politischen und wirtschaftlichen Geschicke der neuen Bundesländer übernahmen und somit die Wahrnehmung entstand, dass das westdeutsche System einfach übergestülpt wurde, erschwerte den Demokratisierungsprozess. Das Vorgehen zog einen Vertrauensverlust in die demokratischen Institutionen nach sich, der bis heute anhält und ein Einfallstor für populistische Kritiken und Ansichten bedeutet. Um diesen populistischen Ideen, welche die demokratischen Strukturen unterwandern, entgegenzutreten ist es wichtig den offenen zivilgesellschaftlichen Diskurs zu fördern. In Zusammenhang mit der Wende- und Nachwendezeit sehen jedoch viele Bürgerinnen und Bürger die Auswirkungen auf ihre persönliche Lebensgeschichte in der politischen und wissenschaftlichen Debatte immer noch unzureichend thematisiert.
Als Kooperation der Stadt Riesa, des Stadtmuseums Riesa und des Sprungbrett e.V. soll das Projekt „Riesaer*innen auf dem Weg in die Deutsche Einheit“ eine Plattform für den Austausch über Themen bieten, die mit der Wende- und Nachwendezeit in Riesa verknüpft sind. Dabei werden individuelle Erinnerungen, Erfahrungen und Geschichten präsentiert, die zur Reflexion über die Zeit anregen sollen, um im nächsten Schritt den Blick nach vorne zu richten. Denn die Auseinandersetzung mit den Erfahrungen aus der Vergangenheit sollte auch immer als Chance verstanden werden, zukünftiges Handeln positiv zu beeinflussen.
Um das Thema von mehreren Seiten zu beleuchten, finden im Zeitraum von 2021 – 2022 unterschiedliche Teilprojekte statt. Bereits ausgearbeitet Formate und Veranstaltungen sind: Interviews mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, Erzählsalons, die Wanderausstellung „Schicksal Treuhand, Treuhand Schicksale“, die Ausstellung „Riesa auf dem Weg in die Deutsch Einheit“, eine Podiumsdiskussion, ein Kunstprojekt und eine Veranstaltung im Klubhaus Riesa.